Kapitel 2
Dreimal fuhr sie um den Block, ehe sie endlich einen Parkplatz gefunden hatte. In dem alten Frankfurter Stadtteil war das gar nicht so einfach. Vor drei Jahren war sie froh gewesen, dass sie diese bezahlbare Wohnung hier bekommen hatte.
   Als Christina die Wohnungstür aufschloss, empfing sie eine beruhigende und wohltuende Stille. So kannte sie ihre vier Wände um diese Uhrzeit an einem normalen Arbeitstag nicht. Ihre Jacke hängte sie an einen Garderobenhaken und die Tasche stellte sie auf das kleine Schränkchen neben der Eingangstür.
   Im Wohnzimmer öffnete sie die Balkontür weit. Mit geschlossenen Augen atmete sie tief ein. Der Regen hatte die brütend heiße Luft, die tagelang zwischen den Häusern stand, abkühlen lassen.
   Was nun? Sollte sie ins Reisebüro gehen oder im Internet ein Reiseziel suchen? Ob es in Deutschland oder irgendwo in Europa sein sollte, darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht. Auf irgendwelche Touristenangebote hatte sie überhaupt keine Lust. Mit ihren  Eltern war sie als Kind oft auf eine dänische Insel in ein kleines Ferienhaus gefahren. Sie hatte es als Kind geliebt, unbeschwert bei Wind und Wetter am Strand zu spielen und Muscheln zu sammeln.
   Da fiel ihr ein, dass sie als Erstes ihre Mutter anrufen musste. Sie war bestimmt in der Galerie. Es klingelte ein paar Mal, bis sie sich meldete.
   „Hallo, Mama.“
   „Christina, um diese Uhrzeit. Ist alles in Ordnung?“ Ihre Stimme klang besorgt.
   „Ja, mach dir keine Sorgen. Ich habe mir vier Wochen Urlaub genommen.“
   Christina hörte, wie ihre Mutter am anderen Ende erleichtert aufatmete. „Gott sei Dank. Es wird aber auch Zeit!“
   „Du hast ja recht.“ Sie verzog das Gesicht. Mütter.
   „Komm doch nach Hause. Hier kannst du im Garten faulenzen oder an der Elbe spazieren gehen.“
   Christina lächelte. Ihre Mutter hätte sie gern mal wieder ein paar Tage oder gar Wochen zu Hause, um sie zu bemuttern und zu verwöhnen. Viel zu selten hatte sie sich in den letzten drei Jahren bei ihren Eltern blicken lassen.
   „Das ist lieb, Mama, ich überlege es mir. Grüß Papa von mir. Ich melde mich wieder.“ Sie trat auf den Balkon und schaute hinunter auf die Straße. Eine Mutter mit einem blondgelockten Jungen an der Hand ging unten vorbei. An der Kreuzung befand sich ein kleines Bistro. Sie hatte bis jetzt noch keine Gelegenheit, dort einen Kaffee zu trinken. Warum nicht heute, immerhin war es ihr erster richtiger Urlaubstag.

Eine junge Frau wischte Tische und Stühle trocken. Christina suchte sich einen Platz mit Blick auf das Geschehen auf der Straße. Es war ein schönes altes Viertel mit Häusern aus der Gründerzeit. Die Verzierungen an den Fassaden gefielen ihr besonders. Die Gebäude wurden in den letzten Jahren aufwändig renoviert und dementsprechend waren die Mieten gestiegen. Freie bezahlbare Wohnungen gab es in Frankfurt nicht wie Sand am Meer. Christina griff zur Karte.
   „Was darf ich Ihnen bringen?“ Die junge Frau hatte ihre langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen und trug zerschlissene Jeans und ein weißes Shirt.
   „Bitte bringen Sie mir einen großen Cappuccino und ein Schinkensandwich.“
   Wieder allein, legte sie ihren Kopf zurück und schaute zum Himmel. Kleine weiße Schäfchenwolken zogen vorbei, während die Sonnenstrahlen ihr Gesicht wärmten. Einfach mal nichts tun, vor allem an nichts denken. In den letzten Wochen fuhren ihre Gedanken Karussell, nahmen von Zeit zu Zeit eine atemberaubende Geschwindigkeit auf und es kam nichts dabei heraus. Immer die gleiche Gedankenschleife, was dazu führte, dass sie unkonzentriert war und sich Fehler einschlichen, die sie zum Glück früh genug bemerkte.
   Die Bedienung kam und stellte den Cappuccino und das Sandwich auf den Tisch. „Guten Appetit.“
   „Entschuldigen Sie, darf ich Sie etwas fragen?“ Die junge Frau war im Begriff zu gehen, blieb jedoch mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck stehen. „Wenn Sie   plötzlich in Urlaub fahren könnten, wo würden Sie hinfahren?“
   „Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Da muss ich gar nicht lange überlegen: Ich liebe Südfrankreich. Und wenn Sie Land und Leute kennenlernen möchten, dann nehmen Sie sich eine Wohnung oder ein kleines Häuschen. Kein Hotel, das ist zu unpersönlich.“
   „Das hört sich fantastisch an.“
   „Es würde Ihnen sicher gefallen.“
   Christina war wieder allein und genoss ihren Cappuccino und die Weißbrotscheiben die dick mit Schinken, Tomaten und Käse belegt waren.
   Südfrankreich – savoir vivre. Die Worte zergingen förmlich auf ihrer Zunge. Sie spürte die Sonne auf der Haut und hatte den Duft von Lavendel in der Nase. Die Leichtigkeit des Südens erleben. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass das genau das Richtige war.
   Zurück in ihrer Wohnung setzte sie sich mit ihrem Laptop auf den Balkon. Unten in dem kleinen Bistro an der Ecke bediente die junge Frau weiter ihre Gäste.
   Welchen Suchbegriff sollte sie eingeben? Vielleicht hätte sie in der Schule im Erdkundeunterricht besser aufpassen sollen. Ihr fiel das Lied Sur le pont d‘Avignon ein. Doch diese Stadt war ihr zu groß, es sollte etwas beschaulicher zugehen. Sie überlegte kurz und ihr fiel der Pont du Gard ein. Tom hatte vor zwei Jahren seinen Urlaub dort verbracht und von der Gegend geschwärmt. Da sie die letzten Jahre überhaupt nicht spontan war, nahm sie sich vor, die Stadt oder den Ort zu nehmen, der ihr zuerst in die Augen sprang. Sie gab den Suchbegriff ein.  Ihr Mittelfinger lag auf der Enter-Taste und sie spürte vor Aufregung ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, drückte sie erwartungsvoll die Taste.

Uzès – in der Nähe vom Pont du Gard


Auszug aus Kapitel 4
Die Autos quälten sich dicht an dicht durch die Straße und kamen nur langsam voran. Christina ging durch den alten Torbogen, der den Boulevard Gambeta mit dem Place aux Herbes verband, in die Innenstadt. Ihre Schritte hallten unter dem betagten Mauerwerk.
   Als sie den Platz betrat, blieb sie stehen. Sie kam sich vor, wie in einer anderen Welt. Wie Alice im Wunderland, vollkommen aus der Zeit gefallen. Das bunte Treiben auf dem Markt und die Menschen, die in den Cafés saßen und ihren Pastis oder Kaffee tranken - es ging ein Lebensgefühl von allem aus, was sie bis dahin noch nicht erlebt hatte. Bisher gab es für sie nur die Arbeit.
   Langsam schlenderte Christina durch die Gänge. Hier gab es Butter und Käse, dort Oliven und Olivenöl, da Honig, einen Stand weiter Geflügel und Eier. Alles wurde durch ein lautes Stimmengewirr untermalt.
   Ihr fiel ein, dass sie einkaufen musste, wenn sie ab heute in ihrem kleinen Haus wohnen würde. Also kaufte sie Butter, Käse, Eier und Brot. In der Mitte des Platzes, an dem großen Brunnen war ein Olivenstand. Die Oliven in den runden Holzschalen sahen so verführerisch aus. Der junge Mann hinter dem Tisch bot ihr an, die eine oder andere Sorte zu probieren.
   "Die mit den Kräutern müssen Sie unbedingt kosten."
   Christina drehte sich nach der warmen Stimme um, die über ihre Schulter drang, und schaute in ein Paar braune Augen. Sie erkannte ihn sofort wieder. Es war genau der Mann, der gestern Abend in der Tür des kleinen Restaurants gestanden hatte.
   "Pierre, lass Madame von deinen Oliven in Kräutern probieren. Das sind die besten."
   Der junge Mann grinste breit, legte mit einem Holzlöffel ein paar Oliven auf einen Teller und reichte ihn Christina. Jetzt stand sie also hier mit einem charmanten Unbekannte und probierte Oliven.
   "Nun, was sagen Sie?" Er sah sie erwartungsvoll an, während er einen Olivenkern in seine Hand spuckte.
   "Mmmh, sehr gut."
   "Pierre, einen großen Becher für die Dame", rief er dem jungen Mann zu.
   Christina wusste nicht, wie ihr geschah. Warum war ihr auf einmal so warm? Sie roch sein After Shave. Es duftete nach Zitronen und Rosmarin.
   "Nein. Bitte nur einen kleinen Becher." Und zu dem Mann neben sich sagte sie: "Ich hole mir in ein paar Tagen lieber frische. Danke."
   "Sie bleiben länger?" Die Stimme neben ihr klang interessiert, um nicht zu sagen sogar neugierig.
   "Ich bin gerade erst angekommen, ja."
   "Das freut mich, dann werden wir uns sicher wiedersehen."
   "Vielleicht. Danke für die Beratung." Sie gab dem jungen Mann das Geld, verstaute die Oliven in der Tasche und drehte sich zum Gehen um. Sie spürte die Blicke des Fremden im Rücken. "Nicht umdrehen. Nicht umdrehen", murmelte sie immer wieder leise vor sich hin. Nach ein paar Schritten, sie konnte nicht widerstehen, drehte sie  sich doch um. Er stand immer noch am selben Fleck und sah ihr nach. Ihre Blicke trafen sich, dann eilte sie weiter. Unmerklich schüttelte sie lächelnd den Kopf.

Online bestellen

Diese Leseprobe war nur ein Kapitel von vielen. Wenn sie dir gefallen hat und du sagst "ja, das Buch möchte ich lesen", dann kannst du hier auf den Button drücken und kannst es gleich bestellen.
Ich versichere dir ein paar unbeschwerte Lesestunden mit ganz viel Frankreich-Flair.